„Die Ereignisse am Persischen Golf im Sommer 2019 zeigen, dass zwischen den Ölmonarchien einerseits und dem Iran und dem US-unterstützten saudischen Block mit den Vereinigten Arabischen Emiraten andererseits die Stimmung weiterhin stark an gespannt ist“, schreibt der Soziologe und Arabist Gilles Kepel mit Blick auf die Tankerkrise in der Straße von Hormus. Wer die vielschichtigen Interessenlagen, wechselnden Koalitionen und komplizierten Strukturen im arabisch-islamischen Raum nachvollziehen will, nimmt mit seinem Buch ein profundes Nachschlagewerk in die Hand. Als Ausgangspunkt wählt er den Jom-Kippur-Krieg 1973, von den Arabern Oktober- oder Ramadankrieg genannt. Er erzählt von der Islamisierung der arabischen Gesellschaften und den Auseinandersetzungen zwischen den Glaubensrichtungen in den 70er Jahren, schildert den Dschihad im Nahen Osten bis zur Jahrtausendwende, den Aufstieg von al-Qaida und die Katastrophe am 11. September 2001.

Catherine Hélie/Gallimard

Gilles Kepel beschäftigt sich seit mehr als vierzig Jahren mit der arabischen Welt, analysiert die politische Entwicklung in den muslimischen Ländern des Mittelmeerraumes. Dabei spielt das Öl und sein Preis auf dem Weltmarkt eine besondere Rolle: als Quelle des Reichtums, als Waffe oder als Druckmittel. Nach dem arabischen Frühling ab 2011 interessierten sich die USA, nunmehr größter Öl- und Schiefergasproduzent, weniger für die Region. Sie kam nicht zur Ruhe, es folgte der Terror des Islamischen Staates. In Syrien und Libyen herrscht Bürgerkrieg, während die USA und Russland eigene Ziele verfolgen: „Nachdem der IS als territoriales Gebilde vernichtet war, unterzog Donald Trump, gestützt auf ein verstärktes Bündnis mit Israel und dem »saudischen Block«, die US-Außenpolitik einer aggressiven Neuausrichtung, die sich in der Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran am 8. Mai durch die USA niederschlug. Seither ist Russland zu komplexen Vermittlungen gezwungen, wenn es seine herausragende Rolle in der Syrienfrage behaupten will. Tatsächlich hat Wladimir Putin ein System errichtet, das auf der Annäherung an vier Partner – Israel, Saudi-Arabien, die Türkei und den Iran – beruht, die in unterschiedlichen Graden untereinander zerstritten sind.“ Gilles Kepel schrieb ein klar strukturiertes und verständliches Standardwerk über die bewegte Vergangenheit des Nahen Ostens, des Irans und Nordafrikas. Er setzt auf Verhandlungen mit Russland und den europäischen Ländern, um Stabilität im Mittelmeerraum zu erreichen.

Gilles Kepel: Chaos – Die Krisen in Nordafrika und im Nahen Osten verstehen. Übersetzt von Enrico Heinemann und Jörn Pinnow; Antje Kunstmann 2019, 496 Seiten

Die Journalistin Kristin Helberg arbeitete zwischen 2001 und 2008 als Korrespondentin in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Sie studierte das Land und seine Bevölkerung intensiv, knüpfte enge Kontakte in die Zivilgesellschaft. „Allem Wunschdenken zum Trotz nähert sich der Syrien-Krieg nicht seinem Ende, sondern tritt nur in eine neue Phase. Diese wird von repressiver Scheinstabilität, lokal begrenzten Kriegshandlungen, regionalen Spannungen und international spürbaren Folgen der Krise gekennzeichnet sein“, sagt sie in ihrer lesenswerten Analyse voraus. Sie zeichnet den Aufstieg des Systems Assad nach und erklärt, weshalb sich der syrische Präsident weiter an der Macht hält. Aus ihrer Sicht kontrolliert er neben der Regierung umfassend das Militär und die Wirtschaft, nutzt dabei die Spaltung der Gesellschaft zwischen der arabischen Bevölkerungsmehrheit und der größten ethnischen Minderheit der Kurden: „Wie dieses Zusammenspiel funktioniert, zeigt sich an den Strategien, die das Assad-Regime seit Jahrzehnten erfolgreich anwendet: an der Vereinnahmung staatlicher Institutionen, einem totalitären Loyalitätsverständnis, der Gleichschaltung der Gesellschaft, an Propaganda und Manipulation, Spaltung und konfessioneller Hetze sowie wirtschaftlichen Abhängigkeiten.“

Christoph Hardt/Future Image/imago images

Seit Jahren, schreibt Kristin Helberg, sendet der Westen die falschen Signale in Richtung Syrien und die Region. Amerikaner und Europäer beuteten Ressourcen aus und stützten dafür prowestliche, autoritäre Machthaber, befeuerten Konflikte statt sie zu befrieden. Doch damit kommen sie nicht weiter. Sie sollten eine klare Haltung beziehen und die Syrer dabei unterstützen, die Diktatur unter Assad langfristig zu überwinden: „Erst wenn der Sicherheitsapparat entmachtet ist und die Hauptverantwortlichen für die Verbrechen angeklagt sind, werden geflüchtete Syrer Hoffnung schöpfen und zurückkehren. Bis dahin sollten wir ihren Glauben an Freiheit und Rechtsstaatlichkeit stärken, indem wir Toleranz, Menschlichkeit, Respekt vor dem anderen und die Achtung unserer Verfassung vorleben und einfordern.“ Als entscheidenden Akteur im Konflikt nennt Kristin Helberg die russische Regierung, und zwar in diplomatischer, politischer und militärischer Hinsicht.

Kristin Helberg: Der Syrien-Krieg – Lösung eines Weltkonflikts. Herder 2018, 256 Seiten