„Die britische Monarchie ist eine mehr als tausend Jahre alte Institution mit einer sechsundneunzigjährigen Geschäftsführerin und einem über Siebzigjährigen in den Startlöchern ihrer Nachfolge. Da kann man keine große Beweglichkeit erwarten.“ Die britische Journalistin Tina Brown erzählt äußerst unterhaltsam, welche Herausforderungen die Firma der Queen, wie sie das House of Windsor nennt, in den vergangenen Jahren bestehen musste. Bereits für ihre Biografie Diana blickte sie tief hinter die Kulissen des englischen Hochadels. Nach dem Tod der Königin der Herzen 1997 wollte Elizabeth II. unbedingt vermeiden, „dass die britische Monarchie von einem anmaßenden, gefährlich populären Familienmitglied, das nicht die Queen oder der Thronfolger war, in den Schatten gestellt, übertrumpft und verdrängt wurde.“ Tina Brown überprüft, wie die Maxime „Beschwere dich nie, erkläre dich nie“ funktionierte. Sie schildert, wie Charles der Imagewandel zum von der Öffentlichkeit akzeptierten Thronerben gelang und er seine große Liebe Camilla heiraten durfte, wie seine Söhne William und Harry ihre eigenen Wege gingen, wie Kate Middleton und Meghan Markle ihre Prinzen fanden.

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Tina Brown arbeitete für die Magazine Tatler, Vanity Fair und The New Yorker, kennt sich in der Szene bestens aus. Denn die Mediengesellschaft veränderte das Königshaus: „Ob es für die Royals gut oder schlecht läuft, hängt davon ab, welche Leute gerade an den entscheidenden Schaltstellen im Privatsekretariat und in der Kommunikation sitzen.“ Ausführlich beschäftigt sie sich mit dem gnadenlosen Boulevardjournalismus und seinen Verflechtungen in die hohe Politik. Oft handelte der Palast Deals mit den Redaktionen aus, um die königliche Familie zu schützen, doch wie beispielsweise Harrys Afghanistan-Einsatz als Hubschrauberpilot landete manches Geheimnis trotzdem in der Öffentlichkeit. Bedrückend schildert Tina Brown die Verbindung von Prinz Andrew mit dem pädophilen Investmentbanker Jeffrey Epstein und die Ermittlungen gegen ihn wegen Sex mit einer minderjährigen Zwangsprostituierten. Schließlich erklärt sie, wie es zum Megxit kam, zur Übersiedlung des Herzogs und der Herzogin Sussex nach Amerika: Anders als Kate wusste Meghan offenbar nicht, welcher goldene Käfig sie erwarten würde, anders als William ließ Harry seiner Braut nur wenig Zeit, sich auf das Leben darin vorzubereiten. „Das Jubiläum zur Feier ihrer siebzig Jahre auf dem Thron stellt einen umfassenden Abschied dar“, schließt Tina Brown, „nicht nur von der Königin, solange sie noch am Leben ist, sondern auch davon, was die Monarchie unter ihr gewesen ist.“

Tina Brown: Palace Papers – Die Windsors, die Macht und die Wahrheit. Übersetzt von Ulrike Strerath-Bolz, Stephan Kleiner, Monika Köpfer, Karsten Singelmann, Astrid Becker, Sylvia Bieker, Henriette Zeltner Shane und Nadine Lipp; Droemer 2022, 752 Seiten

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Harry und Meghan zogen in die USA, Andrew fiel in Ungnade und Elizabeth II. sagt wegen ihres hohen Alters immer öfter Termine ab. Prinz Charles weiß, dass er künftig weitere Aufgaben übernehmen wird und setzt auf die Familie seines ältesten Sohnes. „Die Verschlankung der Royal Family, wie sie dem Prinzen von Wales vorschwebt, erhöht die Erwartung an das Ehepaar Cambridge, William und Catherine, Korrektheit und Stabilität der Windsors zu repräsentieren, was beide nicht als Last zu empfinden scheinen“, schreibt der Queen-Biograf Thomas Kielinger. Auf dem Foto besuchen sie im Mai 2019 die Chelsea Flower Show. „Kate ist zu einer gefeierten nationalen Ikone makelloser Mutterschaft geworden“, betont Tina Brown und warnt: „Die Trennung von Charles und Diana war damals schon traumatisch genug, aber heute, im Zeitalter der Social Media, würde die Monarchie einen Ehekrieg im Hause Cambridge schwerlich überleben.“

Die Herzogin von Edinburgh beobachtete am 6. Februar 1952 von einem Baumhaus in den Aberdare-Bergen von Kenia aus Giraffen, Elefanten und andere Tiere, als sie von ihrem Mann Philip hört, dass im fernen London der König gestorben war: „Elizabeth, die Nicht-mehr-Prinzessin, gab sich gefasst – ihr typisches Verhalten in allen späteren Krisenlagen, wenn sie bei der Etikette Zuflucht suchte, um mit ihren Gefühlen fertig zu werden. ‹Welche Formalitäten muss ich in dieser Stunde erfüllen?›, war ihre erste Frage an den Privatsekretär.“ So schildert Thomas Kielinger jene Szene, in der die 25-Jährige vom Tod ihres Vaters erfuhr. Seine dichte, exzellent recherchierte Biografie erzählt die Geschichte von Elizabeth Alexandra Mary Windsor, die bei ihrer Geburt kaum Aussicht auf den Thron hatte, bis 1936 George VI. nach der Abdankung seines Bruders Edward VIII. plötzlich an die Spitze der Monarchie rückte. Edward wollte unbedingt eine geschiedene Amerikanerin heiraten, und „sein persönliches ‹pursuit of happiness›, das Streben nach dem Glück, über seine Pflichten gestellt“, fasst Thomas Kielinger zusammen. „Man kann das ganze spätere Leben der Queen als einen Versuch beschreiben, dieses Verhältnis umzukehren – die Pflichten über das private Glück zu setzen.“

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Fast zwei Jahrzehnte lang berichtete er ab 1998 aus London für Die Welt und analysiert ausführlich, wie sich die Monarchie nach dem Tod von Diana veränderte. Dabei brachen bekannte Konflikte wie die Wahl der Partner für die Thronfolger und deren Bekenntnis zum Dienst an der Monarchie in neuer Gestalt wieder auf, zuletzt mit dem Herzogspaar Harry und Meghan von Sussex. Der Buckingham-Palast schwieg gewöhnlich während aller Krisen. „Offene Darstellung von Emotionen galt in England als Overstatement, bis die Post-Diana-Zeit eine komplette Umkehrung dieser Attitüde mit sich brachte. Elizabeth II. aber gehört noch zur alten Ära des emotionalen Understatement, einer Haltung, die private Probleme mit sich allein ausmacht und sie klaglos wegsteckt. Dahinter steht der viel bewunderte britische Stoizismus, das Flair der Weltreicherbauer – und ihr Handicap.“ Wenn Thomas Kielinger über Elizabeth II. schreibt, entwirft er einen Abriss jüngerer britischer Geschichte. Er erzählt, wie die Queen mit ihren Premierministern von Winston Churchill über Margaret Thatcher und Tony Blair bis Boris Johnson umging und umgeht, wie sie das Commonwealth zusammenhielt. Seine Biografie wirft auch einen lesenswerten Blick auf ihr Leben mit Prinz Philip.

Thomas Kielinger: Elizabeth II. – Das Leben der Queen. C.H.Beck 2022, 303 Seiten