„Wie ein einzelner Mensch die Welt für sich ordnet, hat erst einmal wenig Konsequenzen. Doch Rassismus ist ein System, das mit der Absicht entstanden ist, eine bestimmte Weltordnung herzustellen. Es wurde über Jahrhunderte aufgebaut und ist mächtig“, schreibt die Journalistin Alice Hasters. Geboren 1989, wuchs sie in Köln als Tochter einer schwarzen Mutter und eines weißen Vaters auf. Mit ihrem Buch will sie dem Rassismus an die Wurzeln gehen. Dazu gehört die Sprache, denn „im Deutschen gibt es noch kein geläufiges Wort für nicht-weiße Menschen, das nicht beleidigend oder defizitär klingt.“ Sie nutzt englische Begriffe wie BIPoC für Black Indigenous People/Person of Color. Weiße, so erlebt sie es immer wieder, bestimmen die Regeln der Gesellschaft. Sie sind es kaum gewohnt, an ihren Rassismus erinnert zu werden, fühlen sich oft sofort angegriffen.

Helmut Henkensiefken

Alice Hasters schildert, wie sie schon als Kind mit rassistischen Stereotypen und Klischees konfrontiert wurde, erzählt von wirkungsvollem Rassismus, der „vielleicht harmlos wirken mag und eben doch große Auswirkungen hat. Im Alltag, in der Schule, auf meinen Körper, in der Liebe und in der Familie.“ Als sie ihre Identität suchte, reiste sie auch in die USA und absolvierte dort die Highschool. Ein langer Abschnitt beschäftigt sich mit der deutschen Kolonialgeschichte, dem Völkermord an Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika. Im Kapitel Deine erste Schwarze Freundin führt sie vor, wie sehr die Hautfarbe den Blick auf Menschen bestimmt. So hilft sie, eigene Maßstäbe zu überprüfen, denn „es ist zwar schwer, Traditionen aufzugeben, aber wenn wir sie beibehalten, dann werden wir Rassismus nicht überwinden können.“ Lange dachte sie, es sei normal, Fragen nach ihrer Herkunft und der ihrer Eltern zu beantworten, Griffe in die Haare zu spüren oder gleich auf Englisch angesprochen zu werden. Sie lernte, Grenzen zu setzen, denn „BIPoC wollen nicht gerettet werden. Sie sind auch nicht nur auf der Welt, um das Leben weißer Menschen zu bereichern. Die Wahrheit ist, dass ein offenes Herz, ein guter Wille und Enthusiasmus allein die Welt nicht retten.“ Alice Hasters klagt nicht an, sondern sensibilisiert. Ihr Buch ist eine sehr lesenswerte, kompromisslose Einladung.

Alice Hasters: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen – aber wissen sollten. hanserblau 2019, 208 Seiten

Am Ende ihres Essays fordert Reni Eddo-Lodge, gegen Rassismus aufzustehen: „Wenn dich anwidert, was du siehst, wenn du vor Zorn zitterst, dann liegt es an dir etwas zu tun. Du musst keine globale Bewegung anführen oder berühmt sein. Du kannst in kleinem Maßstab versuchen, die verzerrten Machtstrukturen an deinem Arbeitsplatz zu demontieren.“ Wortgewandt und klug nimmt sie auseinander, weshalb Rassismus wirkt, berichtet aus ihrer eigenen Geschichte, von ihrer Arbeit als Journalistin. Strukturellen Rassismus entlarvt sie als Versammlung tausender Menschen, die gemeinsam ihre Vorurteile pflegen, zementieren und organisiert handeln. So entstehe „eine undurchdringliche weiße Arbeitsplatzkultur, die von solchen Leuten eingerichtet wird und in der sich jeder, der dieser Kultur nicht entspricht, anpassen muss oder ausgeschlossen wird.“ Um diese Mauern zu durchbrechen, müsse die Gesellschaft allerdings ihre kollektive Verantwortung erkennen und sich beispielsweise stärker mit der Sklaverei auseinandersetzen.

Amaal Said

Reni Eddo-Lodge, geboren 1989 in London, schreibt gegen die Widerstände in diesem Prozess an. Als sie vier Jahre alt war, fragte sie ihre Mutter, wann sie, wie alle guten Menschen im Fernsehen, weiß werden würde. So beginnt sie ihre Abrechnung mit dem White Privilege, der „Abwesenheit der negativen Folgen von Rassismus.“ Es geht um „die Abwesenheit der Tatsache, dass deine Hautfarbe zuallererst als Problem gesehen wird, die Abwesenheit des »aufgrund meiner Hautfarbe ist es weniger wahrscheinlich, dass ich erfolgreich sein werde«“. Es war einer der Gründe, weshalb sie nicht mehr mit Weißen über Hautfarbe sprechen wollte. Als sie Anfang 2014 diesen Entschluss veröffentlichte, traf sie einen Nerv und beförderte öffentliche Diskussionen über Diskriminierung. Weiße sollen sich mit ihrem Anteil am strukturellen Rassismus beschäftigen. „White Privilege ist stumpfsinnige, zermürbende Selbstgefälligkeit. Sie steht für eine Welt, in der drastische Ungleichheit aufgrund der Hautfarbe die Norm ist, die mit einem Schulterzucken abgetan wird.“ Reni Eddo-Lodge spricht ihr Gegenüber direkt an. Sie verlangt, sich selbst zu hinterfragen und bietet viele Bezüge, um sich Rassismus und seine lange Geschichte bewusster zu machen.

Reni Eddo-Lodge: Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche. Übersetzt von Anette Grube; Tropen 2019, 272 Seiten