Zwei Worte und zwei Satzzeichen reichen aus, um in einem hektischen Moment innezuhalten und herauszufinden, was unklar in der Luft liegt. „Wie jetzt?!“ gehört längst zur Alltagssprache und wirkt famos. Wer so gefragt wird, muss Informationen nachliefern oder die Karten auf den Tisch legen. Harvard-Dekan James E. Ryan verabschiedet jedes Jahr die Studierenden des Abschlussjahres mit einer Ansprache, sein Buch basiert auf einer besonders erfolgreichen Rede. „Fünf Fragen reichen aus, um gut durchs Leben zu kommen“, verspricht er zu Beginn. Sie sind nützlich, um offene Punkte zu klären und um neugierig darauf zu bleiben, wie es weiter geht. Eine weitere Frage hilft, im Konflikt einen Konsens zu finden, um den nächsten Schritt gehen zu können. Schließlich signalisiert eine bestimmte Art zu fragen Respekt und Anerkennung oder lenkt die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche. James E. Ryan erzählt kurzweilig und vergnügt aus seinem Leben, diese Fragen halfen ihm über so manche Klippe. Weshalb wir uns hin und wieder die „Bonus-Frage“ stellen sollen und wie sie lautet, finden Sie heraus, wenn Sie dieses Buch lesen.
James E. Ryan: Wie jetzt?! Und andere entscheidende Fragen des Lebens. Übersetzt von Wolfgang Seidel; Beltz 2018, 171 Seiten
Tradition, Kultur, Erbe – wenn in der politischen Diskussion nichts mehr hilft, werden „unsere Wurzeln“ betont, um die Lufthoheit in der Debatte zu gewinnen. In seinem wunderbaren Essay nähert sich der Altphilologe und Kulturwissenschaftler Maurizio Bettini dem Begriff der Wurzel tatsächlich von der Wurzel. Er untersucht seine Herkunft, Bedeutung und Wirkung aus verschiedenen Perspektiven und entlarvt die Argumentation der Identitäre als provinziell und nicht wirklich durchdacht. Wer beispielsweise kulturelle Wurzeln beschwört, „interessiert sich nicht für andere Kulturen, sondern einzig und allein für die eigene. Die kulturellen Wurzeln, auf die man sich beruft, sind stets die unsrigen, und die Konsequenz ist Abschottung und Abwehr, wenn nicht sogar Feindseligkeit.“ Es bereitet großes Lesevergnügen, Maurizio Bettini zu folgen, wenn er geistreich und mit einem Anflug von Ironie seine Sicht ausbreitet. Menschen, die um jeden Preis an ihren Wurzeln, oder was sie auch immer damit meinen, festhalten, verschenken jedenfalls ihr Potenzial: „Der menschlichen Spezies anzugehören bedeutet zuallererst, dass man die Fähigkeit und Möglichkeit zur Veränderung besitzt.“
Maurizio Bettini: Wurzeln – Die trügerischen Mythen der Identität. Übersetzt von Rita Seuß; Antje Kunstmann 2018, 160 Seiten