Wer erfahren will, mit welchen Methoden Extremisten ihre Netzwerke flechten, sollte zwei Bücher von Julia Ebner lesen. Sie recherchierte undercover, wie beispielsweise Rechtsextreme moderne Technologien und klassische Organisationsformen nutzen, lernte Kommunikationsstrategien kennen und wurde selbst von der Szene angegriffen.

Extremisten nutzen alles, was das Internet bietet: Live-Action-Rollenspiel, Terror-Game, Livestream, Dating-App, Audio-Chat, Selfie-Wettbewerb. Ideologen treten wie Influencer auf, um mit ihren Kampagnen große Reichweiten zu erzielen: „Mithilfe der Technik geben sie den Menschen zurück, was die Technik ihnen genommen hat: Zugehörigkeitsgefühle, Selbstvertrauen und Identität. Beziehungsweise: Illusionen all dessen.“ Kernelement ihrer Propaganda ist der Glaube an den „großen Austausch“, der bereits die Motivation für mehrere antimuslimische und antisemitische Terrorangriffe lieferte. Julia Ebner beschreibt in klaren Worten, was sie auf ihrer Recherchereise erlebte. Sie filtert heraus, was Menschen in rechtsextreme Kanäle führt: Misstrauen. Doch Radikalisierungskampagnen sind nicht immer leicht zu erkennen. Weil es ihnen angesichts der Informationsflut im Internet immer schwerer fällt, Nachrichten zu überprüfen, hält Julia Ebner alle Nutzerinnen und Nutzer potenziell anfällig für Manipulationen. Jede Wahl kann aus dem Ausland beeinflusst werden. Deshalb plädiert sie für frühzeitige und intensive Aufklärung: „Die große Herausforderung des heutigen Bildungssystems besteht darin, kritisch denkende, medial gebildete digitale Bürgerinnen und Bürger hervorzubringen, denen die Kontaktaufnahme- und Manipulationsstrategien von Extremisten nichts anhaben können. Initiativen zur digitalen Bildung sollten alle, die je mit dem Internet verbunden sind, dazu veranlassen, sich folgende Fragen zu stellen: Wie haben die sozialen Medien unser Informationsökosystem verändert? Wie funktionieren Algorithmen und wie machen Extremisten sie sich im Netz zunutze? Wie lassen sich glaubwürdige mediale Quellen unterscheiden von polarisierenden, unzuverlässigen und mit Verzerrungen arbeitenden Anbietern von Information?“ Julia Ebner schrieb ein kluges, wichtiges, lesenswertes Buch.

Julia Ebner: Radikalisierungsmaschinen – Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren. Übersetzt von Kirsten Riesselmann; Suhrkamp 2019, 336 Seiten

„Brexit und Trump lagen außerhalb der Grenzen des Vorstellbaren, die AfD saß noch nicht im Bundestag und die FPÖ noch nicht in der österreichischen Regierung. Deutschland war bis dato vom Terror verschont geblieben, und der Großteil der Bevölkerung hatte den Glauben an ein gemeinsames „Wir schaffen das“ noch nicht aufgegeben.“ So skizziert Julia Ebner die Situation, als sie 2016 an dieser Analyse der islamistischen und rechtsextremen Szenen schrieb. Doch schon damals brodelte es unter der Oberfläche. Mit gezielt gestreuten Fake News über politische und gesellschaftliche Gegner wurden Ängste beschworen und Zorn geschürt. Extremisten schufen sich so perfekte Ausgangsbedingungen, um mit geschickt inszenierten Kampagnen ihre Ziele erreichen zu können: „In meinen Gesprächen mit Extremisten in rechtsradikalen Foren erkannte ich, dass das Drehbuch der Rechtsextremen dem der Islamisten erstaunlich ähnlich ist. Beiden ging und geht es darum, durch kontrollierte Provokation und strategische Polarisierung das selbstzerstörerische Potenzial der Gesellschaft freizusetzen, sodass sie letztendlich freie Bahn haben, um ihr eigenes radikales Modell zu etablieren.“ Julia Ebner zitiert aus zahlreichen Studien, trug umfangreiches Hintergrundmaterial zusammen, um die Ergebnisse ihre Undercover-Recherchen auf ein solides Fundament zu stellen. Sie schildert, wie Extremisten erfolgreich international kooperieren, wie sie beispielsweise die Filterfunktion der sozialen Netzwerke nutzen, um die kommunikativen Blasen als Unterstützernetzwerke arbeiten zu lassen. Längst haben sie sich ihre eigenen Medienimperien geschaffen: „Sowohl Rechtsextremisten als auch islamistische Extremisten haben innovative Mittel und Taktiken gefunden, um den Mainstream zu denunzieren, ihre eigenen Geschichten zu erzählen und alternative Nachrichtenkreisläufe zu schaffen.“ Hier, so fordert es Julia Ebner, hilft zunächst nur breite Information und Bildung.

Julia Ebner: Wut – Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen. Übersetzt von Thomas Bertram; Theiss 2018, 336 Seiten