„Angela Merkel ist oft als die mächtigste Frau der Welt beschrieben worden“, betonen Katja Gloger und Georg Mascolo, „zu ihren größten Leistungen gehört, dass sie Deutschland meist zielsicher durch zahlreiche Krisen steuerte. Sie festigten ihr Ansehen. Aber ausgerechnet Corona, die wohl letzte und größte Krise ihrer Amtszeit, droht ihr zu entgleiten.“ Wie konnte es so weit kommen? In ihrem Buch zeigen sie auf, wie wenig Deutschland auf diesen Katastrophenfall vorbereitet war. Es fehlten nicht nur Atemschutzmasken und Schutzausstattung, sondern offenbar zu Beginn der Pandemie klare Vorstellungen davon, was wann anhand welcher Kriterien entschieden werden musste. Die Meinungen von einzelnen Experten wie dem Virologen Christian Drosten beeinflussten das Krisenmanagement entscheidend: „›Aber der Drosten sagt‹ – diese vier Wörter werden in den kommenden Monaten in vielen entscheidenden Diskussionen eine besondere Rolle spielen. Und vor allem Christian Drosten eine politische Verantwortung aufbürden, die er als Wissenschaftler gar nicht tragen kann. Und nicht tragen darf.“
Hans-Jürgen Burkard
Katja Gloger und Georg Mascolo untersuchen vielschichtig, wie die Corona-Pandemie immer größere Kreise zog. Ausführlich blicken sie auf den Ausnahmezustand in Europa und das weltweite Pandemiegeschehen, den Wettlauf bei der Impfstoffentwicklung sowie das wahlkampfgetriebene Corona-Chaos von US-Präsident Donald Trump. Sie schildern teilweise heftige interne Diskussionen der Regierungschefinnen und Regierungschefs mit der Bundeskanzlerin über Schulschließungen, Übertragungsrisiken, Lockdownverlängerungen und die Kriterien dafür. Dabei räumen sie ein, dass Politikerinnen und Politiker täglich unter ständiger Unsicherheit entscheiden mussten, um Leben und Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Sie trugen Protokolle, Interviews und Szenarien zusammen und suchten nicht nach Schuldigen für Fehleinschätzungen. Katja Gloger und Georg Mascolo regen an, das erste Jahr dieser Pandemie zu analysieren, um künftig besser auf eine derartige Situation vorbereitet zu sein: „Willensbildung beginnt immer mit Wissensbildung. Notwendig hierfür ist ein Typus in der Politik, der sich auf ein anderes Verhältnis zur Zeit einlässt, längerfristig denkt und proaktiv handelt. Es geht darum, tätig zu werden, bevor die Schäden sichtbar werden.“ Ihr spannender Report zeigt auf, wie komplex und herausfordernd künftige Pandemien sein werden.
Katja Gloger, Georg Mascolo: Ausbruch – Innenansichten einer Pandemie. Die Corona-Protokolle. Piper 2021, 336 Seiten
Kaum fällt das Land im Frühjahr 2020 in den Corona-Lockdown, beschließt die Publizistin Carolin Emcke, Berlin-Kreuzberg zu erkunden. Bei strahlenden Sonnenschein streift sie ohne jeden Termindruck durch die Straßen und stellt sich Fragen, die in den darauffolgenden Wochen viele beschäftigen werden: „Es ist eiskalt und die Unterbrechung des Takts der Nachrichten ist wohltuend, auch wenn jeder Straßenzug schmerzt, jedes geschlossene Geschäft wie ein vorauseilender Abschied: wird dieser Laden, dieses Kino, diese Shisha-Bar jemals wieder öffnen können, wer wird diese Zeit überstehen, wessen Existenz wird vernichtet werden?“ Sie beginnt am 23. März ihr Journal der ersten Pandemie-Monate, reflektiert Alltagsbeobachtungen, Diskussionen im Internet, hinterfragt Entscheidungen von Politikerinnen und Politikern. Wenn sie beispielsweise eine Rede der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zerpflückt, denkt sie weit über deutsche und europäische Grenzen hinaus und weiß als frühere Kriegsreporterin, dass die ärmsten Regionen der Welt von der Corona-Pandemie besonders hart getroffen werden. Am 29. Mai schreibt sie den letzten Eintrag.
Andreas Labes
Im November 2020 blickt Carolin Emcke auf das zu Ende gehende Jahr zurück, einen Sommer trügerischer Leichtigkeit, in dem das sich weiter ausbreitende Virus weitgehend verdrängt wurde. Ausführlich erinnert sie an die aufregende, fassungslos machende Präsidentschaft von Donald Trump, der nach der verlorenen Wahl seine Fehltritte aus vier Jahren gern vergessen machen würde. Auch vor diesem Hintergrund verlangt sie, in Zeiten der Pandemie nötige gesellschaftliche Veränderungen im Blick zu behalten: „Das ist die Gefahr: dass am Ende alle so erschöpft sind von den ökonomischen Verlusten und demokratischen Zumutungen, dass unsere Gesellschaften einfach wieder blind zurück in die falsche Spur springen, ohne etwas zu lernen aus dieser pandemischen Erfahrung, ohne etwas zu verändern an der Art, wie wir leben und wirtschaften. Dabei hätten wir jetzt genügend Hinweise darauf, was unverzichtbar und was möglich ist, wenn nur der politische Wille da ist.“ Carolin Emcke erinnert daran, wie wichtig es ist, auch in einer Ausnahmesituation die richtigen Fragen zu stellen.
Carolin Emcke: Journal – Tagebuch in Zeiten der Pandemie. S. Fischer 2021, 272 Seiten