Noch immer hält sich Steve Bannon für den wichtigsten Trump-Flüsterer. Seit er im August 2017 das Weiße Haus verließ, beobachtete er von einem Stadthaus auf dem Capitol Hill aus, was der Präsident anstellte und versuchte weiterhin, ihn zu lenken. Mal steckte er Zeitungsreportern eine angebliche Strategie der Republikaner, mal gab er ihm direkt per Fernsehinterview Ratschläge. Oder er setzte sich mit engsten Trump-Vertrauten zusammen, den Beratern David Bossie und Corey Lewandowski sowie dem Fox News-Moderator Sean Hannity. Als Trump während der Verhandlungen über das Haushaltsbudget 2018 vergaß, Geld für die Mauer an der mexikanischen Grenze zu sichern, mobilisierte Bannon lautstarken Protest an der Basis, denn er „wusste, was Trump in Bewegung versetzte. Details waren es nicht. Fakten waren es nicht. Das Gefühl aber, dass ihm gleich etwas Wertvolles weggenommen werden könnte, brachte ihn auf die Hinterbeine.“ Mit Unter Beschuss knüpft Michael Wolff an seinen ersten Trump-Bestseller Feuer und Zorn an. Erneut stützte er sich vor allem auf Steve Bannon und ließ ihn fast pausenlos das Chaos, die Trägheit und die Ideenlosigkeit im Weißen Haus kommentieren. Bannon, von Wolff „der hellsichtigste Erklärer des Phänomens Trump“ genannt, führte weiter seinen Kampf gegen das Establishment und will den „deep state“, den „Staat im Staate“, zerschlagen. Inzwischen agierte er auch in Europa und erzählte nebenbei, wie er in Italien das Bündnis zwischen Fünf-Sterne-Bewegung und Lega vermittelte.

Jen Harris

Michael Wolff sieht sich als eher als Schriftsteller und weniger als Reporter, ihm geht es „um ein Porträt Donald Trumps als eines extremen, geradezu unwirklichen und gewiss zur Vorsicht mahnenden amerikanischen Charakters.“ Für diese Erzählung fand er genug Stoff. Der Höhepunkt, auf den die Handlung zusteuert, sind die Kongresswahlen im November 2018. Die Auseinandersetzungen zwischen Trump und Abgeordneten der Republikanischen Partei um diesen Wahlkampf und die Strategie bis zur Präsidentschaftswahl 2020 zeigten Szenen einer Entfremdung. Der B-Plot basiert auf den Russland-Ermittlungen von Robert Mueller. Hier kommt Michael Wolff schnell zu einem Urteil: „Donald Trump mochte eine ganze Reihe von Dingen angestellt haben, die er sowohl juristisch als auch mit dem Auge der Vernunft betrachtet besser nicht getan hätte. Doch angesichts seiner kurzen Aufmerksamkeitsspanne, seiner Unfähigkeit, mit mehreren Variablen zurande zu kommen, seiner ausschließlichen Konzentration auf seine unmittelbaren Bedürfnisse und seinem Desinteresse an allem, was die Zukunft bringen mochte, schien es nahezu unmöglich, ihm eine großangelegte Verschwörung nachzuweisen.“ Doch weil der Sonderermittler viele Ergebnisse an Staatsanwälte abgab, kamen Trump und sein Team nie zur Ruhe. Wer musste als nächster aussagen, wem drohte eine Anklage?

Donald Trump kämpfte inzwischen mit seinem Job als Präsident, der ihn immer öfter zu überfordern schien. Auf seine Treffen mit Kim Jong-un in Singapur und Wladimir Putin in Helsinki bereitete er sich nicht vor, der russische Präsident stellte ihn prompt bloß. Nach den vermasselten Zwischenwahlen setzten ihn seine wichtigsten Geldgeber unter Druck, erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden gefeuert oder suchten sich neue Jobs. In seinem Stab herrschten weiterhin Misstrauen und Eifersucht. Dieses Drama schildert Michael Wolff aus vielen Blickwinkeln und spart auch peinliche Episoden nicht aus. Ein Frage bleibt: Wie wird das alles enden?

Michael Wolff: Unter Beschuss – Trumps Kampf im Weißen Haus. Übersetzt von Gisela Fichtl, Hainer Kober, Elisabeth Liebl, Silvia Morawetz, Stefanie Römer, Werner Schmitz, Jan Schönherr, Karsten Singelmann, Peter Torberg und Henriette Zeltner; Rowohlt 2019, 478 Seiten

„Seine Lügen – die so ungefähr alles betreffen, von den Ermittlungen zur russischen Einmischung in die Wahl über seine Beliebtheit und seine Leistungen bis hin zu seinem Fernsehkonsum – sind nur die hellsten unter den vielen Alarmlampen, die vor seinem Angriff auf demokratische Institutionen und Normen warnten. Er greift regelmäßig die Presse, die Justiz, die Geheimdienste, das Wahlsystem und die Beamten an, durch die unser Staat funktioniert.“ Michiko Kakutani schreibt über Donald Trump so, wie sie früher schriftstellerische Leistungen beurteilte: klar, präzise, wortgewaltig. 34 Jahre lang feierte oder verriss sie als Literaturkritikerin der New York Times die Arbeit von Autorinnen und Autoren. Nun knöpfte sie sich den Präsidenten vor, denn seine Leistung durchbricht aus ihrer Sicht jedes Niveau, und zwar nach unten. In ihrem Buch hinterfragt sie, weshalb im heutigen Amerika die Wahrheit offenbar so sehr an Bedeutung verlor, dass ein gerissener und gewissenloser Kandidat die Präsidentschaftswahl gewann: „Meinung wurde gegenüber Wissen bevorzugt, Gefühle gegenüber Tatsachen – eine Entwicklung, die sich im Aufstieg Trumps widerspiegelte und ihm Vorschub leistete.“

Petr Hlinomaz

Sie zitiert ausgiebig Hannah Arendt, Aldous Huxley, George Orwell und Neil Postman. Mit den Tagebüchern von Stefan Zweig (Die Welt von gestern) erinnert sie an die Katastrophen des Ersten Weltkriegs und den Aufstieg Hitlers, der zum Zweiten Weltkrieg führte. Bei Viktor Klemperer (Die unbewältigte Sprache: Aus dem Notizbuch eines Philologen) findet sie eine aufschlussreiche Analyse der Nazi-Rhetorik. Sie untersucht, weshalb in den USA nach den Kriegen in Vietnam und im Irak, nach Watergate und der Finanzkrise von 2008 das Misstrauen gegenüber Institutionen wuchs, auf welcher Basis Meinungsmacher von Fox News und dem rechtsgerichteten Nachrichtenportal Breitbart ihre Kampagnen bauten: „Aber die befreiende Demokratisierung der Information, die durch das Internet möglich wurde, war nicht nur eine Triebkraft atemberaubender Neuerungen und unternehmerischer Möglichkeiten; sie führte auch zu einem Sturzbach von Fehlinformationen und Relativismus, wie er sich heute in der Epidemie der Fake News zeigt.“

Michiko Kakutani setzt sich auch mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus dem Journalismus auseinander, mit falsch verstandener Objektivität, die es vermeidet, Lügen und Unsinn zu entlarven. Schließlich rechnet sie mit Republikanern ab, die sich zunehmend von Trump distanzieren, und erinnert an deren Verantwortung. Dieses lesenswerte Buch ist eine Fundgrube, prall gefüllt mit Argumenten, wissenswert weit über die Präsidentschaft von Donald Trump hinaus.

Michiko Kakutani: Der Tod der Wahrheit – Gedanken zur Kultur der Lüge. Übersetzt von Sebastian Vogel; Klett-Cotta 2019, 197 Seiten