Was passiert, wenn die Leistung des Gehirns von außen angekurbelt wird? Wenn ihm mittels einer Sonde direkt Reize zugeführt werden? Bin ich dann noch ich? Weil die Journalistin und Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel solche Fragen gern präzise beantwortet, stürzt sie sich in Selbstversuche: Sie verbringt knapp 24 Stunden in einem schalldichten Raum und absoluter Dunkelheit oder klemmt sich Elektroden an den Kopf, um zu testen, ob die Leistungsfähigkeit ihrer grauen Zellen steigt. Denn: „Mein Kopf gehört mir – das ist keine Haltung der Fortschrittsverweigerung, sondern Ausdruck eines Anspruchs auf aufgeklärte Selbstbestimmung.“ Miriam Meckel gelingt es, ihre auf einer langen Recherchereise gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse spannend zu vermitteln. Sie führt Tagebuch (wie in Brief an mein Leben), schildert Reaktionen von Freundinnen und Freunden auf ihre Tests und nimmt uns mit zu Begegnungen mit zahlreichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Sie behandelt ihr Thema mit großem Respekt und Umsicht: „Im Gehirn kommt zusammen, was einen Menschen ausmacht. Wer das Gehirn manipuliert, werkelt am Ich. Bevor wir damit anfangen, wäre es gut, das Gehirn wirklich in allen seinen Details zu verstehen. Davon sind wir bei allem Fortschritt noch immer weit entfernt. Einstweilen gilt daher: Ob und wie weit man das eigene Gehirn zur Trainingszone der Selbstverbesserung macht, darüber sollte niemand anders entscheiden dürfen als der kluge Kopf, der bald noch klüger werden soll.“
Stefanos Notopoulos
Miriam Meckel diskutiert die Gefahren und Risiken der rasanten Entwicklung auf dem Gebiet der Neurowissenschaften, denn was technisch möglich ist, wird im Neurokapitalismus wohl realisiert werden. Sie sensibilisiert für die fragwürdige Vision einer Zukunft, in der Mensch und Maschine kaum zu trennen sein könnten, denn die Forschung zur Künstlichen Intelligenz schreitet rasant voran. Doch sie nimmt auch die Angst vor einem Prozess, der uns beherrscht und kontrollieren würde. Ihr Buch klärt auf, bestimmt den wissenschaftlichen und technischen Status Quo und erklärt den medizinischen Fortschritt. Wenn gelähmte Menschen mit ihren Gedanken einen Roboterarm steuern können, verbessert das ihr Leben enorm. Trotzdem birgt jeder Eingriff ins Gehirn ein enormes Risiko. Wie würde sich dann unser Wesen verändern? Deshalb reflektiert Miriam Meckel ausführlich auch die wissenschaftliche Diskussion über die Einheit von Körper und Geist.
Miriam Meckel: Mein Kopf gehört mir – Eine Reise durch die schöne neue Welt des Brainhacking. Piper 2018, 288 Seiten
Während eines Abendessens geriet die Schriftstellerin Siri Hustvedt in eine Diskussion mit einem Kollegen. Er vertrat die These, bestimmte Menschen würden mit einem Anspruchsdenken geboren, es liege ihnen sozusagen als Gabe in den Genen: „Angeborene psychologische Merkmale sind im Augenblick sehr angesagt. Was auch immer er gelesen hatte, er beharrte nun darauf, dass es ein Gen oder mehrere für dieses Anrechtsbewusstsein gäbe, und daran hielt er eisern fest.“ Was steckt hinter solchen Ideen, worauf gründen sie sich und bleiben im Gespräch? Siri Hustvedt kreist aus der Perspektive der Nicht-Wissenschaftlerin um das Verhältnis von Körper, Geist, Seele und Künstlicher Intelligenz. Sie befasst sich intensiv mit der umfangreichen Literatur zum Thema und vergleicht zahlreiche Studien, setzt sich unter anderem mit Schriften des Naturwissenschaftlers René Descartes, des Experimentalpsychologen Steven Pinker und des Mathematikers Alan Touring auseinander. Wenn Körper und Geist als getrennt betrachtet werden, wie lassen sich dann Erkenntnisse der jüngsten Neurologieforschung erklären? Wenn das Gehirn im Laufe der Jahre als Computer, Telefonzentrale oder Bürosystem beschrieben wurde, was sagt das über seine Funktion und den Menschen aus?
Luigi Novi/CC BY 3.0
Der Reiz dieses umfangreichen Essays liegt in der Art und Weise, wie Siri Hustvedt ihre Sichtweise auf ihr Thema entwickelt. Als Schriftstellerin argumentiert sie aus einer anderen Perspektive als Philosophen oder Hirnforscher, sie hinterfragt ganz einfach bekannte Theorien. Besonders stark gelingen ihr Abschnitte, in denen sie die noch immer verschrobene Geschlechterdiskussion thematisiert oder die Gehirnfunktionen mit Beispielen aus ihrem eigenen Fachgebiet erklärt: „Der Mann, nicht die Frau, ist noch immer die Norm. Ich habe immer eine andere Perspektive als du, und sei es nur deshalb, weil ich an einer anderen Stelle im Raum stehe und Dinge sehe, die ein anderer so nicht sieht. Auch mein Geschlecht, meine Rasse, mein Alter, mein sexuelles Begehren und meine individuellen Gewohnheiten, die Sprache, die ich spreche, und meine früheren Erfahrungen, das alles beeinflusst meine Sicht der Dinge.“ Siri Hustvedt liefert eine Fülle von Informationen, stellt unerwartete Zusammenhänge her und verlangt aufmerksames Lesen. Doch es lohnt, sich darauf einzulassen.
Siri Hustvedt: Die Illusion der Gewissheit. Übersetzt von Bettina Seifried; Rowohlt 2018, 414 Seiten