Chile, Argentinien, Brasilien, Bolivien, Uruguay, Südafrika, Großbritannien, Polen, Russland, China, USA – Naomi Klein unternimmt eine Weltreise und folgt der Spur des Wirtschaftsnobelpreisträgers Milton Friedman, der an der Universität von Chicago die reine Lehre des Kapitalismus vom freien Spiel der Märkte predigte. Ihre These: Die Neoliberalen nutzen Katastrophen gezielt aus, um Großkonzernen eine freie Bahn für uneingeschränkte Marktöffnung und Privatisierung zu verschaffen: „Mehr als drei Jahrzehnte lang hatten Friedman und seine mächtigen Anhänger genau diese Strategie perfektioniert: Auf eine große Krise oder einen Schock warten, dann den Staat an private Interessenten verfüttern, solange die Bürger sich noch vom Schock erholen, und schließlich diesen „Reformen“ rasch Dauerhaftigkeit verleihen.“ Wenn etwas schiefgeht, müssten die Bürger der betroffenen Länder die Rechnung begleichen, Armut und Sozialabbau seien die Folge. Gleich mehrfach schildert Naomi Klein, wie IWF und Weltbank die Regierungschefs finanziell in Not geratener Länder zu Frühstücksdirektoren degradierten. In Chile inszenierten die USA gar den Putsch gegen Salvador Allende, um die Wirkung von Radikalreformen zu testen. Auch Naturkatastrophen wie der Wirbelsturm Katrina in den USA oder der Tsunami in Südostasien wurden genutzt. Inzwischen werden aus Sicht von Naomi Klein auch Kriege voll und ganz privatisiert, so dass sie selbst ein neuer Markt sind. Das Schlimmste sei allerdings, dass der Neoliberalismus im Endstadium die Demokratie auf der Strecke lässt, wie sie am Beispiel Südkoreas schlussfolgert: „Noch niemals zuvor war die Hauptmission der Chicagoer Schule, die Wirtschaft vor dem Zugriff der Demokratie zu schützen, so deutlich zutage getreten: Ihr dürft wählen, sagte man den Südkoreanern, aber eure Entscheidung wird keinen Einfluss auf die Gestaltung und Organisation der Wirtschaft haben.“ Selten wurden die Folgen von Privatisierung und Globalisierung so fakten- und facettenreich beschrieben. Naomi Klein polarisiert und rüttelt an den Grundfesten des Neoliberalismus.
Naomi Klein: Die Schock-Strategie – Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus. Übersetzt von Michael Bischoff, Hartmut Schickert, Karl Heinz Siber; S. Fischer 2007, 763 Seiten
Im Stile eines Thrillers schrieb der junge Journalist Roberto Saviano seine Erinnerungen und Recherchen über die Camorra. Selbst in der Region um Neapel zu Hause, arbeitete er Gerichtsfälle auf und legte offen, wie dieses Wirtschaftssystems funktioniert. Allerdings wirkt sein Tatsachenbericht dann am stärksten, wenn er Schicksale beschreibt. Wie das vom Schneider Pasquale, der mit 600 Euro im Monat seine Familie durchbringen muss und aus dem Fernsehen erfährt, dass er Angelina Jolie das Kleid für die Oscar-Show genäht hat: „Wenn alles, was möglich war, getan ist, wenn man all sein Talent, sein Geschick, seine Meisterschaft und seine Hingabe für eine Tat, ein Werk in die Waagschale geworfen hat und sich doch nichts ändert, dann will man sich einfach nur bäuchlings auf Nichts, ins Nichts fallen lassen. Langsam verschwinden, die Minuten über sich verstreichen lassen, sich darin versenken, als wäre es Treibsand.“ Wer legal nicht genug verdient, heuert früher oder später bei der Camorra an. Doch Saviano ging es um mehr: Er nennt die Namen der Bosse und Mittelsmänner, blickt hinter die Fassaden schmucker Feriensiedlungen, folgt den Drogenkurieren, enttarnt Verbindungen zu Presse und Politik, macht den Unterschied zwischen Camorra und Mafia deutlich: „Unternehmer. So nennen sich die Camorristen der Provinz Caserta. Unternehmer, weiter nichts. Ein Clan brutaler Betriebswirte, blutrünstiger Manager, Bauunternehmer und Grundbesitzer. Jeder mit einer eigenen bewaffneten Bande, untereinander verbunden durch Geschäftsinteressen in sämtlichen Wirtschaftsbranchen.“ Am Ende sein Buch eine große, ernüchternde Reportage über ungebremsten Kapitalismus, der seine Chancen weltweit brutal nutzt. Weil Roberto Saviano das Gesetz des Schweigens brach, lebt er nun unter Polizeischutz.
Roberto Saviano: Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra. Übersetzt von Friederike Hausmann, Rita Seuß; Carl Hanser 2007, 384 Seiten