Wie können Menschen dabei unterstützt werden, kluge und richtige Entscheidungen zu treffen? Damit beschäftigt sich der Verhaltensökonom Richard Thaler. 2017 erhielt er für seine Forschung zur Wirtschaftspsychologie den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.
„Seit Jahren widersetzen sich viele Ökonomen der Forderung, ihre Modelle auf wirksamkeitsgetreuere Beschreibungen des menschlichen Verhaltens zu stützen“, schreibt er 2015 in seinem Buch über die Verhaltensökonomik. Die traditionelle Wirtschaftstheorie behauptet, dass ideale Menschen stets ihren erwarteten Nutzen optimieren wollen. Dagegen will sich die Verhaltensökonomik an realen Menschen orientieren. Der Titel Misbehaving meint daher augenzwinkernd Menschen, die anders handeln, als es das klassische Modell vorsieht. Sie benehmen sich dann „ungezogen“. Von seinen wichtigsten Mentoren Daniel Kahneman und Amos Tversky lernte er, bevorzugt mit Experimenten und Studien zu arbeiten, bei denen die Probanden nach dem Zufallsprinzip bestimmte Tests absolvieren. Lange untersuchte er, wie und wann Privatpersonen Geld ausgeben, studierte ihre sogenannte mentale Buchführung und Selbstkontrolle.
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Später beschäftigte sich Richard Thaler mit dem Verhältnis von Risiko und Rendite bei Finanzmarktinvestments sowie mit der Kooperationsbereitschaft der Beteiligten, wenn viel auf dem Spiel steht. Auf Grundlage dieser Erfahrungen und der Überzeugung, dass Menschen Hilfe annehmen, wenn sie Fehler machen, entwickelte er gemeinsam mit dem Juristen Cass Sunstein das Konzept des „Nudge“, eines „Anstupsers zum Guten“: „Kann man es Menschen leichter machen, Entscheidungen zu treffen, die sie sowohl im Vorfeld als auch nachträglich für gute Entscheidungen halten werden, ohne jemanden ausdrücklich zu etwas zu zwingen? Anders gesagt: Was können wir erreichen, wenn wir uns auf den libertären Paternalismus beschränken?“ Ihre Version des Paternalismus sollte zurückhaltend sein, um Entscheidungsprozesse nicht zu ersetzen, sondern sie in eine bestimmte Richtung zu unterstützen. Dieser Methode sind allerdings Grenzen gesetzt. „Keine Gesellschaft kann ohne Regeln und Vorschriften existieren“, schreibt Richard Thaler, „Stupser sind lediglich Werkzeuge, und diese Werkzeuge existierten, lange bevor Cass und ich ihnen einen Namen gaben.“ Seine gesammelten Forschungen und Erkenntnisse spannen einen weiten, faszinierenden Bogen über sein Fachgebiet.
Richard Thaler: Misbehaving – Was uns die Verhaltensökonomik über unsere Entscheidungen verrät. Übersetzt von Thorsten Schmidt; Pantheon 2019, 512 Seiten
Im Jahr 2005 veröffentlichten der Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler und der Jurist Cass Sunstein ein Konzept, das auf ihren Forschungen zur Verhaltensökonomik basierte. Beide hatten mit dem Psychologen Daniel Kahneman zusammengearbeitet. Ihrer Idee folgend, versuchen Entscheidungsarchitekten vorherzusehen, was Menschen in einer bestimmten Situation tatsächlich wollen, um sie dabei zu unterstützen, es zu erreichen. Dann geben sie „den Leuten außerdem einen kleinen Stups in die richtige Richtung – einen Nudge. Unter Nudge verstehen wir also alle Maßnahmen, mit denen Entscheidungsarchitekten das Verhalten von Menschen in vorhersagbarer Weise verändern können, ohne irgendwelche Optionen auszuschließen oder wirtschaftliche Anreize stark zu verändern.“ Beispielsweise „Obst in der Kantine auf Augenhöhe zu drapieren zählt als Nudge. Junkfood aus dem Angebot zu nehmen hingegen nicht.“
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Bei einem Open Air-Konzert wurde Cass Sunstein daran erinnert, mehr Wasser zu trinken, weil er es in großer Hitze verliere. Da Menschen Verluste meiden wollen, erwies sich diese Aussage als effektiv. Trägheit in Veränderungsprozessen kann überwunden oder genutzt werden. Nudges können im Gesundheitswesen und in der Altersvorsorge wirken, Anreize für die Reduzierung von CO₂-Emissionen schaffen. „Die Argumente, die für einen libertären Paternalismus in Privatunternehmen sprechen, gelten aber auch für die Politik“, betonen Richard Thaler und Cass Sunstein, denn „es besteht ein himmelweiter Unterschied, ob man jegliche Intervention der Regierung ohne nachzudenken verteufelt oder ob man zu dem vernünftigen Schluss kommt, dass sich der Staat einmischen sollte, solange er die Entscheidungsfreiheit der Bürger gleichzeitig wahrt und fördert.“
Kritik an ihrem Konzept voraussehend, setzen sie sich mit Vorwürfen von Manipulation und Bevormundung auseinander, betonen den libertären Ansatz ihres Paternalismus. Doch woher kennen Entscheidungsarchitekten den Willen von Menschen, welcher Prozess ging seiner Bildung voraus und auf welchem gesellschaftlichen Konsens basiert er? Sie verstehen ihr Buch selbst als einen Nudge, einen Anstupser.
Richard H. Thaler, Cass R. Sunstein: Nudge – Wie man kluge Entscheidungen anstößt. Übersetzt von Christoph Bausum; Ullstein 2010, 400 Seiten