Verloren die Demokraten die Präsidentschaftswahl 2024 schon beim TV-Duell am 27. Juni? Biden „wirkte blass, müde und schwach, fast wie der Geist eines Mannes“, schreibt Bob Woodward, nennt den Auftritt des Amtsinhabers strauchelnd und wirr: „Bei Routinefragen zu Wirtschaft, Außenpolitik, Umwelt und Einwanderung hatte Biden Mühe, Worte zu finden und einen klaren Satz zu formulieren. Seine Stimme war ein schwaches, kaum hörbares Krächzen.“ Als er erklären wollte, wie das Haushaltsdefizit durch höhere Steuern für Milliardäre zu verringern sei, landete er bei COVID und der Krankenversicherung Medicare. 51 Millionen Menschen sahen, wie schwer es ihm fiel, sich zu erinnern oder Trump zu folgen.

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Denn dieser argumentierte mit „der für ihn typischen Mischung unverschämter Übertreibungen, Unwahrheiten und Lügen. Er griff an, wirkte aber lebendiger und souveräner.“ Für ihn lief alles glatt, er wich Diskussionen mit Biden aus und nutzte die Situation. „Trumps Mimik zeigte, dass sich der ehemalige Präsident in seinem Element befand“, fasst Bob Woodward zusammen. Während der Debatte im CNN-Sendezentrum Atlanta gerieten die Demokraten in Panik. Parteiführung, Spender und enge Vertraute diskutierten in den folgenden Tagen öffentlich darüber, ob Biden das Land vier weitere Jahre führen könne. Am 21. Juli zog er sich aus dem Wahlkampf zurück und empfahl Vizepräsidentin Kamala Harris als Präsidentschaftskandidatin.

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Bob Woodward berichtet in Krieg über einen ganz anderen Joe Biden als den unkonzentrierten, stotternden Greis im Fernsehstudio: „Meiner Ansicht nach spricht alles dafür, dass Präsident Biden und sein Team bei künftigen Historikern als Beispiel beständiger und zielgerichteter Führung gelten werden.“ Im Mittelpunkt stehen die Folgen der Corona-Pandemie, der Krieg Russlands gegen die Ukraine und der Krieg im Nahen Osten als Folge des Terrorangriffs der Hamas auf Israel. Auch die Beziehungen zu China, Nordkorea und zum Iran waren zunehmend konfliktreich. Im eigenen Land kontrollierte Donald Trump die Republikaner, ließ Gesetze im Repräsentantenhaus blockieren und sorgt mit seiner Legende von der gestohlenen Wahl 2020 weiter für Unruhe.

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Außenminister Antony Blinken und der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan (von links auf dem Foto vom November 2023 im Oval Office) standen somit vor zahlreichen Herausforderungen. Sie begleiteten Biden seit dessen Zeit als Vizepräsident und erlebten ihn bei den fast täglichen Diskussionen über neueste Geheimdienstinformationen sowie die politische und wirtschaftliche Entwicklung in der Welt als wachen, versierten und weitsichtigen Chef. Als sie zu dritt im Oktober 2021 am Rande eines G20-Treffens in Rom die wichtigsten europäischen Partner über konkrete russische Pläne für einen Angriff auf die Ukraine informierten, ernteten sie noch meist ungläubiges Staunen. Die enge Abstimmung innerhalb von NATO und G7, Diskussionen über Waffenlieferungen mit den Verbündeten und das Krisenmanagement mit der russischen Seite über Kanäle der Geheimdienste und des Militärs bestimmte bald ihren Alltag.

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Welchen Waffen können der Ukraine geliefert werden, ohne dass sie zu einem Konflikt zwischen Russland und dem Westen führen? Diese Frage prägte zahlreiche Gespräche mit den Verbündeten, insbesondere mit Deutschland. Gleichzeitig drängte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (auf dem Foto am 21. Dezember 2022 vor dem Oval Office) die USA auf stärkere militärische Hilfe. Ausführlich schildert Bob Woodward ebenso, wie Biden, Blinken und Sullivan die Unterstützung Israels nach dem Terrorangriff der Hamas organisierten und gleichzeitig intensiv von Premierminister Benjamin Netanyahu den Schutz der Zivilbevölkerung im Gazastreifen verlangten. Leider gelang es Biden nur selten, die Ergebnisse seiner Regierung der breiten Öffentlichkeit zu offenbaren. Denn er „festigte eine amerikanische Außenpolitik, die amerikanische Bodentruppen aus Kriegen heraushielt. Und zumindest bis heute ist die Welt nicht in einen Krieg zwischen Großmächten geschliddert“, betont Bob Woodward. Viele Diskussionen schildert er als Dialoge, liefert gleichzeitig Hintergrundinformationen und Faktenchecks. So verleiht er seinem lesenswerten Buch Dynamik und Spannung.

Bob Woodward: Krieg. Übersetzt von Sylvia Bieker, Annika Domainko, Gisela Fichtl, Stephan Kleiner, Jürgen Neubauer, Hella Reese, Nikolaus Stingl, Anke Wagner-Wolff, Alexander Weber, Andreas Wirthensohn und Henriette Zeltner-Shane; Hanser 2024, 480 Seiten